Die Piste
30.07.2018 · Weil Italien viele Flüchtlinge sich selbst überlässt, leben sie in wilden Barackenlagern. Das größte wächst auf dem ehemaligen Flugplatz von Borgo Mezzanone – eine Kleinstadt mit Läden, Moscheen, Bordellen und einer Mafia.

Die Stadt ohne Namen ist gut versteckt. Kein Wegweiser führt hin. Am Ausgang von Borgo Mezzanone, einem Dorf, das Mussolini einst in die Felder Apuliens pflanzen ließ, ....

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La Discoteca


Wie alle Bordelle auf der Piste wird auch das größte von der nigerianischen Mafia kontrolliert. Die verkauft hier außerdem Haschisch, Marihuana und Kokain.
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Die meisten der wenigen Frauen aber sind Prostituierte – so wie Andrea, die von den Männern cavallo bianco genannt wird, weißes Pferd. Sie ist eine Romni aus Rumänien, klein und laut, am laufenden Band spuckt sie Schimpfwörter um sich, cazzo, vaffanculo, verpiss dich! Die anderen Prostituierten seien alle neidisch, sagt sie und zeigt auf ihre helle Haut und ihre Augen. Die sind blau – und so vernebelt wie ihre Gedanken, die sie schon zum Frühstück mit Whiskey umspült. Heute habe sie den ganzen Morgen gekotzt, sagt Andrea. Aber nicht wegen des Alkohols. Sie hält sich den Bauch. Irgendwann nach Ramadan muss es passiert sein. Vor ungefähr anderthalb Monaten also, sagt sie. „Ich muss ins Krankenhaus.“ Ihr erstes Kind, Antonio, habe sie vor ein paar Jahren, als sie noch im Bulgaren-Getto lebte, verkaufen müssen.

Alle anderen Prostituierten auf der Piste sind Nigerianerinnen, junge Frauen, manche fast noch Mädchen, mit zu langen Wimpern und zu engen Leggins. „Food is ready“ steht als Erkennungszeichen an den Bordellbaracken. Vier oder fünf sind es, die größte kennt jeder: „La discoteca“. Sie steht direkt am Zaun des Aufnahmelagers, ein Steinbau, wahrscheinlich noch aus der Zeit des Flugbetriebs. Der schummrige Innenraum ist mit Postern von Madonna tapeziert. Das sei aber nicht immer so, sagt der Kerl hinter der Bar. Der Boss wechsle alle paar Wochen mal das Motto. Durch eine Tür in der Ecke geht es zu den Verschlägen, in denen die Prostituierten leben und anschaffen. Zehn Euro kostet der Sex. Manche machen es auch für weniger.

Nicht nur Männer, die auf der Piste leben, kommen hierher. Jedes Wochenende steigen in „La discoteca“ Partys. Dann füllt sich der Schotterplatz davor mit Autos, bis in die Wiese. Bulgaren und Rumänen kommen aus ihren Gettos, Italiener bis aus dem 20 Kilometer entfernten Foggia.
Sie kaufen sich die Frauen. Und Marihuana, Haschisch, Kokain. In einem Raum hinter der Bar werden die Drogen gelagert, gewogen und portioniert.

Kontrolliert wird dieses Geschäft von der nigerianischen Mafia, einer Bande namens Black Axe, schwarze Axt. Die Drogen kaufen sie, darauf deutet jedenfalls vieles hin, von dem italienischen Mafiaclan der Romito, auf dessen Territorium die Piste liegt, und der auch den nächstgelegenen Hafen beherrscht. Für die Prostituierten, die sie an Landstraßen außerhalb des Gettos anschaffen lassen, zahlen sie den Romito Steuern. Ansonsten ist der Handel mit den Frauen komplett in ihrer Hand, angefangen in den Dörfern im Süden Nigerias, wo sie immer jüngere anwerben, auch mit falschen Versprechen. Sie schicken sie auf die gefährliche Reise nach Norden, so viele, dass es für sie kein großer Verlust ist, wenn mal ein Mädchen in der Wüste verdurstet oder im Mittelmeer ertrinkt.

In Italien ist das Netz der nigerianischen Mafia inzwischen so engmaschig, dass ihr keiner entkommt. Die Auffanglager, die eigentlich geschlossen sein sollten, sind durchlässig wie Siebe, auch das neben der Piste. Armeefahrzeuge drehen dort ihre Runden, während durch zwei Löcher im Zaun Verkehr herrscht wie auf einer Ameisenstraße. Bewohner der Piste klettern rein, zum Wasserholen, zum Kicken, Bewohner des Lagers gehen draußen bummeln. Und die nigerianische Mafia holt sich direkt aus staatlicher Obhut junge Frauen als Nachschub für ihr Geschäft und junge Männer als Nachwuchs. Wer sich weigert mitzumachen, wird verprügelt, gequält, mit Macheten verletzt.
Das größte Gebäude neben den Bordellen ist die Garden of Jesus Christ Church im Zentrum der Piste, ...

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