Bei dieser ganzen Debatte um die Impfpflicht gibt es- auch unter Berücksichtigung des jüngsten Urteils des BVerfG- folgenden zentralen rechtlichen Zielkonflikt:
Das Menschenrecht des Einzelnen auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 GG auf der einen Seite. Das Individuum darf grundsätzlich mit seinem Körper tun, was es möchte. Was vernünftig ist, bestimmt es also prinzipiell selber.
Auf der anderen Seite entfaltet das Recht auf körperliche Unversehrtheit und Leben aus Art. 2 GG nach neuerer staatsrechtlicher Dogmatik allerdings nicht nur den obigen Unterlassungsanspruch des Individuums gegen den Staat, sondern in gewissem Umfang auch eine Schutzpflicht des Staates, seine Bürger vor Körperschäden oder gar Todesgefahren zu bewahren. Zudem hat das BVerfG in ständiger Rechtsprechung festgestellt, dass ein funktionierendes Gesundheitswesen ein überragend wichtiges Rechtsgut des Allgemeinwohls ist, dessen Schutz prinzipiell Grundrechtseingriffe legitimieren kann.
P.S:
Diesen dogmatischen Zielkonflikt kann man- jedenfalls was die Kollision individualrechtlicher Unterlassungsansprüche gegen den Staat versus Schutzpflicht des Staates gegenüber der Allgemeinheit angeht- übrigens ohne weiteres auf die Themen Zucker-und Fettsteuer, Tabak-,Drogen- und Alkoholverbote, Helmpflicht für Fahrrad- und Motorradfahrer, Fast-food-Verbote (in Mexiko seit kurzem Realität), Feinstaubbelastung durch Autofahrer und Ao-Fickerei übertragen. Ob ajoker67 diese Vergleiche ohne Begründung als unsinnig betrachtet ist einerlei ( vgl. auch meinen link zum philosophischen Stammtisch). Aber er hat ja auch behauptet, dass die Grundrechtsausübung ihre Grenzen findet, wenn die Grundrechte Dritter tangiert sind. Ein unverhohlener Aufruf zu Gewalt und Schrecken.
Eine ernsthafte Debatte zu diesem prinzipiellen Zielkonflikt in einer liberalen freiheitlich verfassten Gesellschaft im Parlament vermisse ich.
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